03.11.2009

Eine Gruselgeschichte


 Von einem, der auszog, das Gruseln zu lernen


In einer Stadt lebten einst zwei Brüder. Davon war der ältere gescheit und schlau und schickte sich nicht in alles, was die Regierung sagte. Galt es allerdings nützliche und wichtige Dinge zu tun, wie zu demonstrieren gegen den Sozialabbau oder etwa Unterschriften zu leisten gegen Kriege in aller Welt, Spenden zu sammeln für Kuba und Projekte in Nicaragua und gar sich zu weigern, allüberall seine Daten und alles über seine Persönlichkeit sammeln zu lassen, so musste der Ältere allemal dieses alleine ausrichten.

Hieß man ihn aber, auf den Friedhof, den Truppenübungsplatz, in die Kaserne oder an sonst einen schaurigen Ort zu gehen, so antwortete er wohl: »Ach nein, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!« Denn er befürchtete einiges. Oder wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schauderte, von Ausländerhass und Naziterror oder auch von den Wahlergebnissen in Niederbayern oder Dresden, so erbleichte er wie die meisten anderen Zuhörer, und sie sprachen: »Ach, wie gruselt mir.«

Der jüngere aber – Michel hieß er – saß in der Ecke, hörte alles mit an und konnte es nicht begreifen:

»Wie macht ihr das nur,« fragte er die anderen, »daß es euch immer so schön gruselt?«

»Ei, das sollst du bald lernen,« antworteten diese und schickten ihn zu einer Parteiversammlung.
»Ei, von welcher Partei meint ihr denn,« fragte Michel? »Ach«, antworteten sie da, »geh nur zu einer der Parteien. Ob CSU oder Olivgrüne, das ist einerlei. Viel Unterschiede gibt es da längst nicht mehr.«
Michel aber, der ja ein Dummbart war, kam mit blitzenden Augen zurück und sprach: »Ihr seid mir rechte, pardon, ihr seid mir linke Lehrer, wollt mich das Gruseln lehren, und ich habe nur gelernt, wie das Totmachen so schön positiv ist.«
Und als er die zweifelnden Blicke der anderen sah, fügte er hastig hinzu: »Vorausgesetzt, man tut es für die Menschenrechte.«

Da sprachen die Leute um ihn  herum:
» Mit dem wird die Merkel einmal keine Last haben. «

Michel fand alles gut und hielt die Bundeswehr für eine Friedensbewegung, den Weltwährungsfond für eine Chance für die Armen der Welt, Herrn Obama für den Hüter der Freien Welt und Angela Merkels Frisur für das Allergeilste, das er je gesehen hatte. Und wenn Herr Ackermann auf 10% seines Gehaltes verzichtete und alle seine guten Manager mit, dann weinte Michel und machte sich Sorgen um die Zukunft derer Familien.

Und er freute sich sehr, wenn die Banker von Lehmann Brothers und der Hypo-Real-Estate-Bank einen saftigen Bonus einstrichen, denn schließlich hatten sie sich verzockt und brauchten dringend frisches Money.

Den Leuten aber gruselte es vor der Globalisierung und der Konzentration des Großkapitals und sie sprachen zu Michel: »Merkst Du nicht, wie die Welt sich in zwei Teile teilt, die reichen und die armen Leut’? «

Der ältere Bruder schüttelte besorgt den Kopf und sprach:
» Da hilft nur noch eine Reise nach Berlin zum Gruselkabinett von Angela Merkel und zur bayrischen Landesvertretung. «

Und so reiste Michel nach Berlin und da waren sie alle versammelt, die Merkel und der Seehofer, der Brüderle und der Rösler. Michel aber erstarrte vor Ehrfurcht und Bewunderung und das Gruseln wollte sich nicht so richtig einstellen, bis der Ältere ihn in die Schreckenskammer des Gruselkabinetts führte. Und da saßen sie nun, der Westerwelle und der Hadschi Halef Omar von und zu Guttenberg.

Michel wurde es nun doch etwas unbehaglich, denn da saß noch ein altes graues Männlein – Schäuble nannte es sich, weil das harmloser und niedlicher klang als Schäub -, das wollte unbedingt alle Bürger samt Fingerabdrücken, Kopfformen und Nasenprofilen in eine Kartei pressen.

Da kann einen das Gruseln schon ankommen.

Gerade in diesem Augenblick, als Michel schon die ersten Schauer den Rücken herunterlaufen spürte, begann Schäuble zu krächzen: »Der Datenschutz wurde sowieso schon lange übertrieben. Das Internet ist ein Netz in dem uns die die bösen Buben ins Netz gehen werden. Wir brauchen das doch alles für die Staatssicherheit – die Sicherheit des Staates meine ich natürlich.«

Und schon war Michel wieder beruhigt.

»Ei potztausend,« sagte er sich, »da haben sie mich zu Hause aber schön verladen. Wer sollte hier wohl das Gruseln lernen? Sind doch alle ganz gute Demokraten und Friedensfreunde! Haben sie nicht schon vor der Wahl fest versprochen, nie und nimmer Kriege zu führen, geschweige denn Kinder umzubringen?« Denn er glaubte ihren Sprüchen, den windigen. So dumm war Michel, daß ihm nicht einmal etwas aufgefallen war, als die Kanzlerin beim letzten Krieg dem Volk im Fernsehen erklärt hatte: »Wir führen keinen Krieg. Wir machen nur Friedenskampfeinsätze mit Waffen.«

Und so wollte sich Michel schon enttäuscht auf den Heimweg machen, da erscholl aus dem Mund von Gutsherr Guttenberg, des von ihm so verehrten Verteidigungsministers, wie leid es ihm täte für die Kollateralschäden in Afghanistan und wie schlimm die humanitären Katastrophen im Irak und sonstwo seien.

Und schließlich sprach ein forscher grauer Mann, Jung hieß er hieß er, denn Jung klingt besser als Alt aussehend, von Hartz 4 und streckte seine langen Finger nach den Sparbüchern der Kinder aus, denn er hatte ein Hartz für Kinder, schaute begehrlich auf die Wohnungen der Massenarbeitslosen und sprach von angemessenem zumutbarem Wohnraum, von der Lockerung des Kündigungsschutzes und den Billigjobs, die jedem zuzumuten seien, von Hire and Fire und der Senkung des Spitzensteuersatzes, von der Verlängerung der Arbeitszeit und von der Rente mit 71.

Auf der Zuschauertribüne der Schreckenskammer aber saßen die Unternehmer und Großaktionäre, freuten sich und schrieben Erpresserbriefe an ihre Mitarbeiter, in denen sie mit Abwanderung in Billiglohnländer drohten, wenn diese weiterhin törichterweise auf die Gewerkschaften und linke Betriebsräte hören würden.

Und da fiel es ihm wie Schuppen von der Glotze, und es lief ihm eiskalt über den Rücken:

»Ach, wie gruselt mir, wie gruselt mir!«, rief er aus.

Und damit hatte er auch völlig recht.

Fortan war Michel ein wachsamer Staatsbürger, und  ließ sich nicht mehr verscheißern.

Denn selbst er, der Dummbart, hatte jetzt einsehen müssen, woher der Wind wirklich wehte.


P.S.: Leider haben nur Märchen stets einen so positiven Schluß. Der wirkliche Michel hat das Gruseln noch immer nicht gelernt und glaubt der Bildzeitung bis an sein jähes Ende.

Nun, liebe Kinder, schlaft schön… weiter.
Und wenn ihr morgen aufwacht… wenn ihr morgen aufwacht, dann habt ihr aber verdammt viel Glück gehabt.

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