14.06.2012

German Soccer-Psycho

Beim gestrigen EM-Schlagerspiel spielte wie so oft die Geschichte mit. Hilfloses Schulterzucken in den vorgeschalteten und anschließenden Plapperrunden (Markus Lanz etc) über die starken Aversionen, die es seit der Befreiung von den Nazis auch im Fußball seitens der Holländer gegeben hat. - Und sowohl in deutschen wie auch in österreichischen Plapperrunden machte die Episode die Runde, daß ein junger Holländer zu deutschen Fans sagte, die Deutschen hätten seinem Opa während der Besatzung das Fahrrad geklaut, doch wenn er es wieder bekäme, sei endlich Friede zwischen Deutschen und Niederländern....

Ein Fahrradklau also. Eine Petitesse. Peanuts. Tatsächlich?


Tatsächlich ein erneuter Fall von Verdrängung und Geschichtsklitterung:

1940 marschierte die Reichswehr in Holland ein. Die Königin floh nach London und der später als einer der 10 schlimmsten Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichtete Arthur Seyß-Inquart wurde Reichskomissar. Ab 1941 begann eine überaus repressive Besatzungspolitik.  Nachdem im Februar 1941  425 Amsterdamer Juden nach Mauthausen (Österreich) deportiert wurden, rief die verbotene kommunistische Partei zu einem Generalstreik und zur Solidarität mit der jüdischen Bevölerung auf, der von vielen hunderttausend Niederländern befolgt wurde.  Von den 140.000 niederländischen Juden wurden, auch mitteles vieler niederländischer Kollaborateure 107.000 in die Vernichtungslager deportiert, nur 5000 Menschen überlebten. Zu den Opfern der Deportationen gehörte auch die aus Deutschland emigrierte jüdische Familie Frank. Sie hatte sich zwei Jahre lang in einem Hinterhaus versteckt, bevor ihr Versteck 1944 verraten wurde. Die Tochter Anne Frank wurde nach Kriegsende zu einer Symbolfigur des Völkermords an den Juden. Ihr Tagebuch mit Eintragungen über das Leben im Versteck wurde 1950 auf Deutsch veröffentlicht. 

1945 stand die kanadische 1. Armee vor der Befreiung der Niederlande. Die Deutschen drohten jedoch, Dämme zu sprengen und weite Teile Hollands zu fluten, so daß erst Anfang Mai 1945 die unter großem Hunger leidende Bevölkerung befreit werden konnte.


Fußball wurde, was wenig bekannt ist, nahezu bis zum Ende der Besatzung gespielt:

"... Man brauchte Ablenkung und ein Ventil für den Alltag. Auch für Juden war der Fußball ein Mittel, sich Raum zu verschaffen. 90 Minuten lang seine Stars anfeuern und nicht an den Alltag denken. Ganz nach dem zynischen Motto von Reichskommissar Arthur Seyss-Inquart: „Wer Sport treibt, sündigt nicht.“ Fußball wurde überall gespielt. Auch in Konzentrationslagern. In Theresienstadt, in Dachau, im Kamp Westerbork und selbst in Auschwitz wurde auf Befehl der SS ab und zu gespielt. In den Akten ist ein Spiel aus dem Jahr 1944 in Dachau zwischen Gefangenen und Aufsehern dokumentiert, das die Gefangenen mit 21:0 gewonnen haben.
Fußball wurde als politisches Mittel missbraucht. Während des Spiels konnten Razzien durchgeführt werden, Luftangriffe wurden gestartet. Hierbei zählte auch der Ablenkungseffekt:  Dazu passen auch die Einweihungen des neuen Feyenoord Stadions „De Kuip“ 1939 und des Stadions „De Goffert“ in Nimwegen im gleichen Jahr.

Die Bereitschaft zum Widerstand gegen die Besatzer war gering. Nur kleinere Klubs, wie Union Gorkum, entschieden sich, den schwierigen Weg der Opposition zu gehen. Der Club aus Gorkum löste sich auf, nachdem ein NSBer, also ein Mitglied der niederländischen Nationalsozialisten, in den Vorstand rücken sollte. Die großen Vereine wie Feyenoord Rotterdam, PSV Eindhoven, Heerenveen oder gar der selbsternannte „Judenverein“ Ajax Amsterdam spielten weiter. Jüdische Spieler wurden beinahe ohne Ausnahme aus dem Kader genommen. Das ging alles ganz problemlos. Der Club Ado Den Haag, in den 30er Jahren mehrmaliger niederländischer Meister, war verschrien als „NSB-Club“. Roda JC Kerkrade wurde schnell umgenannt in „Speckholzer Heide“, da die Buchstaben JC (Königin Juliana Combinatie) den Besatzern zu starke nationale Gefühle enthielten.

Die niederländische Nationalmannschaft spielte zum letzten Mal 1940 gegen Belgien. Aber dies war nicht das Ende des nationalen Fußballs. Eine neue Mannschaft formierte sich in Berlin aus Zwangsarbeitern. Bekannte Spieler wie Bram Appel, der zuvor für Ado kickte, zogen jetzt das Leibchen für deutsche Vereine über. Gegen die deutsche Mannschaft spielten die Niederländer zum letzten Mal 1937 in Düsseldorf. Mit dem Hitlergruß empfangen, marschierten sie aufs Spielfeld. Bei der anschließenden Nationalhymne verweigerten die Oranjes allerdings demonstrativ den Hitlergruß. Im Gegensatz zu Engländern und Spaniern, die den Gruß als Zeichen der Freundlichkeit werteten.  Richtige Stars hatten die Niederlande nur drei: Abe Lenstra, Stürmer in Heerenveen, Faas Wilkes, „der Johan Cruijf der 30er Jahre“ und Spieler beim AC Milan, und Leen Vente, der Star von Feyenoord. Alle standen nie im Verdacht, mit den Nazis zusammengearbeitet zu haben.

Der bekannteste Fall ist der des KNVB-Vorsitzenden Karel Lotsy. Er soll sich für die Nazi-Sache eingesetzt haben, gab Zustimmung für die Sperrung jüdischer Schiedsrichter. „Die Chance ist zum Greifen nahe, dass der neue Geist sich durchsetzen wird“, ist von Lotsy überliefert. Rassistische Schlachtrufe und anti-jüdische Gesänge waren während der Kriegszeit in den Niederlanden nicht üblich."

Die Fahrrad-Geschichte hat Methode. Eigentlich - so wird uns suggeriert - sind die Niederländer nur sauer, weil sie nahezu alle wichtigen Spiele gegen die Deutschen verloren haben.  Daran mag auch etwas wahr sein - aber Fußball als Mittel, die Geschichte zu verharmlosen und Peanuts aus Kriegsverbrechen zu machen, ist wohl der schlimmere politische Vorgang, der anläßlich des Schlagerspiels praktiziert wurde.

Es liegt an uns wenigen Querköpfen, vorwärts zu denken und nichts zu vergessen.

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